In diesen Tagen der Vorbereitung auf das Amazonen-Retreat im Allgäu frage ich mich -gerade auch im Hinblick auf die momentane Zeitqualität- immer wieder, auf welche Weise die antiken Amazonen uns heutige moderne Amazonen unterstützen können.
Die Geschichte der Amazonen kurz in Stichworten:
Skythische Frauen der Schwarzmeerküste gründeten nach einer verheerenden Niederlage ihres Stammes und dem Verlust aller männlichen Kämpfer aus Angst vor fremder männlicher Übernahme den Stamm der Amazonen. Mit wilder Entschlossenheit verteidigten und erweiterten sie ihr weibliches Terrain stetig. Sie gewannen zunehmend an Einfluss rund ums Schwarze Meer. Sie waren gefürchtet und berüchtigt für ihre Kampfstrategien und -techniken, ihre Reitkünste waren atemberaubend, ihr Kampfesmut und ihre kriegerische Kompetenz rangen den Feinden großen Respekt ab.
Einmal im Jahr, so wurde überliefert, trafen sich die Amazonen mit den Männern des Nachbarstammes, die jenseits der Berge wohnten, in der Mitte auf einem Hochplateau -und feierten die körperliche Leidenschaft. Die dabei gezeugten Töchter blieben im Amazonenstamm und wurden zu Kämpferinnen ausgebildet, die Söhne wurden den Vätern auf der anderen Seite der Berge übergeben. Die strenge Trennung von körperlicher Leidenschaft und weiblichem Staatswesen sollte den Frauen Sicherheit gewähren.
Aber es gibt da auch diese großen Liebesgeschichten zwischen Amazonenköniginnen und griechischen Helden, die jedes Mal tragische Konsequenzen für den ganzen Amazonenstamm hatten und schließlich auch zu seiner Auflösung führten. Die Zeit der heiligen Kriegerin und Priesterin der großen Mutter musste nach dem Fall der letzten Amazonenkönigin dem Patriarchat endgültig weichen….
Ich sehe uns moderne Amazonen auch heute noch -und gerade in diesen Tagen der Kontakteinschränkungen aufgrund der Pandemie- mit den ewig gleichen weiblichen Herausforderungen und Fragen konfrontiert:
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Wieviel Abgrenzung und Raum um mich herum braucht es, um mich sicher zu fühlen, um meinen ganz eigenen weiblichen Raum zu gestalten und zu nähren, damit ich mich dort jederzeit selbst stärken und regenerieren kann?
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Wie sehr verpflichte ich mich jeden Tag aufs Neue diesem heiligen Raum? Welchen Stellenwert gebe ich ihm?
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Wie fühlt es sich an, wenn meine Verletzlichkeit mit meinem Bedürfnis nach körperlicher Rückversicherung, dass ich geliebt bin, kollidiert, indem es nicht erfüllt wird -und wie gehe ich damit um?
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Wie fühlt sich dieser Mangel an körperlicher Nähe zu Freund|inn|en und ggf. Familienmitgliedern für mich an? Was macht diese unfreiwillige Distanz mit mir? Wie beeinflusst sie mein Empfinden? Entwickle ich Strategien, um den Mangel und die Unsicherheit nicht fühlen zu müssen oder kann ich den Schmerz zulassen und die Sehnsucht als lebendige kreative Kraft erfahren?
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Auf welche Weise kann ich mich selbst in Liebe halten und eine tiefe liebende und lebendige Beziehung mit meinem Körper eingehen und diese pflegen?
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Wer gehört zu meinem Stamm, zu meinem Kreis der Schwestern, der mich gerade auch in schweren Zeiten trägt und hält?
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Wie soll die Welt aussehen, die ich nach weiblichen Prinzipien mitgestalte? Was ist mir so heilig und wichtig, dass ich wild und entschlossen dafür eintrete? Wo kann ich auf einen Teil meiner individuellen Bedürfnisse verzichten, bzw. meine Individualität zum Wohle einer Gemeinschaft als einen Zugewinn einbringen, der Leben verändern und die Welt verschönern kann?
Was mich jedenfalls bei den Amazonen am meisten berührt hat, ist dieser –absolut nachvollziehbare-, not-wendige rigide Schutz nach Außen, dem Männlichen, dem Feind gegenüber…diese Härte und Strenge, die die Amazonen in sich selbst kultivieren mussten, um sicher zu sein.
Eine Härte, die auch wir moderne Amazonen nur allzu gut kennen. Der tägliche Kampf, um in diesem konsumistischen, schnelllebigen und reizüberflutenden System bestehen und mithalten zu können, fordert seinen Tribut.
Die Härte des Patriarchats haben wir Frauen so tief verinnerlicht, dass wir gar nicht bemerken, wie hart wir immer wieder selbst mit uns ins Gericht gehen, uns selbst verleugnen, uns minderwertig fühlen und uns schämen, wenn wir fühlen, dass wir mal wieder nicht den Erwartungen entsprechen, wenn wir uns verletzlich, überfordert oder einfach nur leer fühlen.
Wir haben gelernt, im Beruf „unseren Mann zu stehen“ und oft finden wir uns auch in der Intimität auf einem Kampfplatz mit unseren Männern wieder. Wie die Amazonen legen wir unsere Rüstung der Unberührbarkeit an und setzen unsere Masken auf, um unsere wahren Gefühle zu verstecken, oft sogar vor unseren engsten Freundinnen und Schwestern. Stark, gut gelaunt und tüchtig wollen wir erscheinen…uns selbst dabei degradierend zu folgsamen „guten“ Töchtern des Patriarchats, zweifelhaftes Lob erwartend, anstatt uns selbst zu ehren als freie und wilde Töchter dieser wundervollen Erde.
Nach außen funktionierend „absolvierten“ wir so üblicherweise unser Leben mehr oder weniger „Erfolg“-reich“. Was aber unterschwellig mehr und mehr „Erfolg“-te, war eine schleichende Trennung tief in uns selbst.
Mit Labeln wie Fatigue, Burn-Out und Depression werden die Zustände benannt und pathologisiert, die eigentlich eine tiefere Regeneration ankündigen…langsamer werden, leiser werden…lauschen…nach innen…die tiefere Weisheit des Seins empfangen…Einfachheit…Hingabe…Heilung.
Doch was hat das jetzt wieder mit den Amazonen, den tapferen Kämpferinnen zu tun?
Wie geht das: Empfänglichkeit, Sanftheit und Hingabe in uns kultivieren und gleichzeitig über unsere Grenzen wachen?
Wie werden wir sensibel dafür, wo wir unseren Platz der Wächterin für unsere innerste Intimität verlassen und uns im Außen oder im Energiefeld unseres Gegenübers verlieren?
Wie geht das: Hingabe ohne Selbstaufgabe…Mitgefühl und Verständnis ohne Selbstverleugnung?
Wie gelange ich zu der Erfahrung, dass ein JA zu mir auch gleichzeitig ein JA zu dir sein kann?
Fließen mit der natürlichen Bewegung von Nähe und Distanz…vom Ort des Rückzug in die nährenden Tiefen unseres Seins wieder hinaus… und hinein in die Welt…oder in die Grenzen auflösende Verschmelzung mit dem Liebsten ?
Liegt das letztendliche Gehalten sein, die „Sicherheit“, die wir suchen, etwa in der Unsicherheit der Bewegung selbst…im Zulassen, dass Bewegung geschieht, dass Veränderung geschieht?
Diese Fragen öffnen etwas in uns, wenn wir sie wie Samen ganz tief in uns einsinken lassen…die Transformation beginnt.
Die Welt nach weiblichen Prinzipien mitzugestalten ist unser weibliches Schöpfungsrecht. Und dies geschieht nicht irgendwo ganz weit „da draußen“, sondern tief in uns und aus uns heraus: Im scheinbar Unscheinbaren…im Alltäglichen…und im Unsichtbaren…so fein und fast unmerklich…und doch so revolutionär…
~ Claudia@womanessence
Bild: Juan Jose, Unsplash, CC0
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