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Warum brauchen wir ein Bewusstsein für das Weibliche?

Tigerwoman

 „Wo ist das Weibliche? Wir brauchen das Weibliche!“ schallt es verzweifelt durch das Universum. Die Himmelsgötter wissen sich nicht mehr zu helfen. Es herrscht Krieg und Chaos in allen Welten und die Dämonen, die für die Illusion des Getrenntseins stehen, sind dabei, endgültig das Kommando zu übernehmen. Es gibt nur eines zu tun: Die Göttin muss gerufen werden. Diese lässt sich nicht zweimal bitten und erscheint in der Gestalt von Durga. Sie kommt auf ihrem Tiger geritten, ihr ganzer Körper leuchtet vor reiner Liebe, ihr Kraftzentrum strahlt „wie tausend Sonnen“. Fest verwurzelt in dem,  was dem Leben und der Wahrheit dient, die Hüften völlig entspannt, reitet sie voller Anmut und wilder Entschlossenheit durch das Kriegsgeschehen und schlachtet die Dämonen einfach ab…

(Diese Interpretation des Durga-Mythos aus der hinduistischen Mythologie
ist ein Gedächtnisprotokoll aus Teachings meiner Lehrerin Chameli Ardagh)

Was ist Weiblichkeit?

Erinnern wir uns noch, was die ursprüngliche weibliche Kraft ist? Was weibliche Qualitäten sind? Wie definieren wir Weiblichkeit? Welche Bilder und Glaubenssätze tragen wir in uns? Über Zeitalter wurde uns Frauen von außen eingetrichtert, was Weiblichkeit ist und wie sie funktioniert. Stück für Stück haben wir sie uns – kollektiv gesehen – aus der Hand nehmen lassen, uns mehr und mehr von unserem ganz eigenen Empfinden distanziert und zugelassen, dass das Weibliche zunehmend an Wert und Substanz verlor.  In immer mehr Bereichen bestimmten Männer, was Weiblichkeit ist und wie sie sich ausdrücken darf. Sie haben unsere Grenzen abgesteckt und ihre eigenen Bilder der Weiblichkeit für uns Frauen gezeichnet. Zudem führte die einseitige Verherrlichung eines männlichen Himmelsgottes  zu einer Missachtung, Abspaltung und Verteufelung von weiblicher Heilkunst und der weiblichen Art von Spiritualität. Frauen begannen, sich schuldig und gebrandmarkt zu fühlen für ihr intuitives Wissen und ihre Körperlichkeit. Weibliche Qualitäten wurden in den Schmutz gezogen, belächelt, verunglimpft und  für nicht vollwertig angesehen. Da ist es kein Wunder, dass sich heimlich Scham zur Weiblichkeit gesellte und sich nachhaltig ins weibliche Bewusstsein einnistete.

Diese fortschreitende Dynamik hat uns Frauen schließlich von unserer ureigenen Kraft entwurzelt. Unser weibliches Selbstverständnis wurde nach und nach ausgehöhlt. Der einzige Weg, um Einfluss zu nehmen, schien, die gesellschaftlich hoch angesehene männliche Kraft in uns zu kultivieren, männliche Qualitäten zu entwickeln, es den Männern gleich zu tun. Noch tiefer wurde dadurch unsere Abspaltung vom Weiblichen – bis die meisten Frauen irgendwann keinen gefühlten und wahrhaftigen Bezug mehr zur ihrer Kraft und Schönheit hatten.

Warum muss das Weibliche auf besondere Weise gestärkt werden?

Frauen befinden sich heute – meist unbewusst – im männlichen Modus. Das Männliche ist uns allen inzwischen allzu vertraut und selbstverständlich. Wir haben es verinnerlicht und verstehen darum männliche Verhaltens- und Denkweisen gar nicht mehr als etwas, das wir Frauen zum großen Teil von außen übernommen haben und uns nicht hundertprozentig entspricht. Was nicht bedeutet, dass männliche Anteile für die Frau im Besonderen und die Welt im Allgemeinen in ausgewogenem Maße nicht auch förderlich sind. Und selbstverständlich ist die weibliche Kraft in Männern genauso angelegt, und erwacht glücklicherweise auch in immer mehr Männern neu. Es geht nur darum, wach zu werden und zu spüren, welche Anteile bewusst oder unbewusst gelebt und genährt werden.

Uns Frauen schmerzt der Verlust des Weiblichen immens. Viele von uns spüren eine tiefe und unbestimmte Sehnsucht in sich…einen inneren Ruf danach, herauszufinden, was das Weibliche wirklich ist. Sie fühlen, dass da eine ganz besondere Kraft und Schönheit in ihnen schlummert, ein Geschenk, das in die Welt gebracht werden möchte.

Aber wie können wir unsere falschen Vorstellungen von Weiblichkeit entlarven und demaskieren? Wie können wir wieder zu unserer ureigenen Weiblichkeit, unserem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein zurückfinden? Wie erkennen wir das Weibliche?

Meiner eigenen Erfahrung nach gibt es nur einen einzigen authentischen Weg zur Weiblichkeit. Und dieser Weg entsteht, indem wir das Weibliche in uns selbst erforschen und zum Ausdruck bringen; indem wir dem Weiblichen in uns Aufmerksamkeit schenken; indem wir unseren Körper bewusst spüren, mit ihm atmen, ihm lauschen; indem wir unseren Gefühlen und Empfindungen Raum geben und ihnen vertrauen. Es geht darum, unsere weiblichen Qualitäten wie Erdverbundenheit, Fürsorge, Gefühlsreichtum und Intuition, Heilkraft, Erotik, Schönheit, Hingabe, Kreativität, Mitgefühl, Empfänglichkeit und Empfindsamkeit wieder wahr zu nehmen, als wertvoll anzuerkennen, zu feiern und zu teilen.

Einen geschützten und achtsamen Rahmen für die Erfahrung einer tieferen Ebene von Weiblichkeit bieten Frauentempel-Gruppen. Struktur und Inhalt der Tempelgruppen gehen auf die jahrzehntelange weiblich-spirituelle Praxis von Chameli Ardagh, der Gründerin des Awakening Women Institutes, zurück. In diesen Kreisen erleben Frauen, wie es ist, voll und ganz im Körper anwesend, vollkommen im Moment präsent zu sein – ganz gleich, was geschieht. Anstatt Gefühle und Empfindungen -wie sonst üblich- zu analysieren oder verändern zu wollen, oder sie gar ganz zu vermeiden, werden sie willkommen geheißen als schöpferische Ausdrucksform weiblicher Weisheit und als Wege zur Wurzel weiblicher Kraft. Frauen machen in Tempelgruppen die Erfahrung, dass weibliche Spiritualität nicht vom Körper getrennt ist, sondern dass dieser vielmehr zu jeder Zeit ein Portal zum „großen Einen“ sein kann, wenn wir uns frei machen von religiösen Konstrukten und Erleuchtungsfantasien und stattdessen in diesem Moment präsent bleiben. Die vielfältigen Erscheinungsformen des Weiblichen finden in Tempelgruppen leidenschaftlichen, kreativen und oft spielerischen Ausdruck. Die Kommunikation findet weitestgehend ohne Worte statt oder in einer bestimmten Übungsstruktur. Es wird meditiert, getanzt und achtsam berührt.

Männliche und weibliche Energien in die Balance bringen

Nun werden manche sagen: „Männlich oder weiblich – Es ist doch sowieso alles gleichgültig. Das regelt sich ohnehin von alleine. Die Kräfte gleichen sich aus.“ Daran glaube ich persönlich nicht. Macht- und Profitgier, blinde Kriegswut, religiöser Fanatismus, die Ausbeutung der Erde, Verarmung, seelenlose, anonyme und  gewalttätige Sexualität, zerfallende Familienstrukturen – all das sind Auswüchse des überbetonten und unerlösten Männlichen und braucht die weibliche Energie um zu heilen und ganz zu werden. Nicht, weil das Weibliche an sich besser oder edler wäre, sondern weil die einseitig dominierende männliche Energie durch das Weibliche ausgeglichen werden muss. Unser weiblicher Einsatz und unser Bekenntnis sind gefragt. Es geht darum, unseren Teil der „Mission Mensch“ zu übernehmen.

Ich glaube, wenn alle Frauen in ihrem Umfeld ihre wilde entschlossene Weiblichkeit für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen, „den Tiger reiten“, da wo sie direkten Einfluss haben, dann bringen wir eine Wellenbewegung der Veränderung ins Rollen. Wenn wir unser mitfühlendes, berührbares weibliches Herz öffnen und es frei von Angst und Scham strahlen lassen, wird wieder Nähe zwischen Menschen, Nationen und Religionen möglich. Das Gefühl von Trennung wird als Illusion entlarvt. Wenn wir uns für den weiblichen Ausdruck von Spiritualität einsetzen, lösen sich rigide, verstaubte und arrogante Glaubensstrukturen auf und eine lebendige, verkörperte und atmende Spiritualität darf sich entfalten. Eine Spiritualität, die nicht von unserem Alltag und unserem Menschsein abgespalten ist.

Königinnen in ihrem eigenen Reich

Die Wiederbelebung des Weiblichen würde sich natürlich auch auf unsere Partnerschaften auswirken. Indem wir uns erlauben, Erotik und Schönheit wieder als unendlich wertvolles Geschenk zu erleben und auszudrücken, würden wir der aushöhlenden, zersplitternden Wirkung von Pornographiesucht und Prostitution allmählich die Substanz entziehen. Wir würden lernen, uns als vollständige, lustvolle, sexuelle Wesen zu begreifen und Erotik – auch unabhängig von der Erfüllung durch einen Mann – im Körper wahrnehmen, feiern und in schöpferischem Ausdruck verströmen können.

Wir könnten uns und unsere Männer von Erwartungen und Vorstellungen entlasten und unsere Beziehungen wieder tragfähig und gleichzeitig leichter machen. Denn wenn wir mit uns selbst versöhnt sind, uns selbst lieben, achten und gut für uns sorgen, löst sich unser diffuses Mangelgefühl endgültig auf und wir brauchen dem Mann weder bettelnd hinterher zu laufen noch ihn für unsere Misere  zu beschuldigen.

Wenn wir als Königinnen wieder in unser eigenes Land einziehen, hundertprozentig für die weiblichen Qualitäten einstehen und die Verantwortung dafür übernehmen – anstatt  uns auszupowern auf männlichem Terrain– darf auch der Mann wieder König in seinem Reich sein. Dann können wir auf eine integere und würdige Art aufeinander zugehen.

Hast du auch diese Vision in dir von einer Welt in Balance? Dann lass den Weg dorthin in deinem Herzen und in deinem  Körper entstehen. Auf weibliche Weise die Welt mit zu gestalten heißt nicht, lieb, nett und passiv zu sein, sondern fest verwurzelt in deiner Wahrheit  für das einzustehen, was dir heilig ist und was dem Leben dient. Steig auf den Rücken des Tigers und reite los– sei wach, präsent, entspannt und entschlossen wie die Göttin Durga. Dann wirst du erleben, wie dein Traum von einer schönen, gerechten, friedvollen und gesunden Welt allmählich Gestalt annimmt.

~ Claudia@womanessence, Yoga Aktuell 98 Bewusstsein für das Weibliche

Bilder: Ian Robinson, Alex Perez, Unsplash, CC0

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